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Ich fühle mich sehr geehrt, dass der Roma-Schriftsteller Jovan Nikolić zu meiner Ausstellung (Legally Invisible) – das Rudolstadt Festival 2022 begleitend – eine Lesung hält. Sein Liedtext “Bubamara” in der Filmkomödie Schwarze Katze, weißer Kater ist weltbekannt. Mein herzlicher Dank gilt den Veranstaltern.
LEGALLY INVISIBLE -TITOS ERBEN
In einem sind sich die Menschen in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens — sowie einiger Nachbarländer — einig: in der Ablehnung der Zigeuner. Beobachter sprechen deshalb von einem strukturellen Antiziganismus, also einem auf Vorurteilen, Stereotypen und feindseliger Haltung basierenden spezifischen Rassismus.
Zunächst: es ist nicht ganz falsch, für die osteuropäischen Zigeuner verallgemeinernd den Begriff „Roma“ zu verwenden; andererseits zeigt gerade diese Region exemplarisch die Problematik, auf „Zigeuner“ zu verzichten, leben doch im Kosovo mit den Aschkali sowie den Balkan-Ägyptern zwei Gruppierungen, die beide aus Ägypten ins Land kamen, Albanisch sprechen, Muslime und keine Roma sind – sondern Zigeuner. Weswegen sie genauso dis-
kriminiert werden. Sie versuchen, sich in der Mehrheitsgesellschaft zu verstecken, denn gerade im Kosovo ist die Verfolgung besonders groß: 1999/2000 wurden über 100 000 Roma vertrieben und mehrere Dutzend Siedlungen zerstört (ohne dass sie wieder aufgebaut worden wären); insgesamt flohen ca. 200 000 Roma aus den Westbalkanstaaten.
Zigeuner aus der Region suchten vornehmlich in Westeuropa Zuflucht, aber auch in Griechenland oder Italien. Die deutsche Regierung spielte keine rühmliche Rolle, denn sie erkannte die Ursachen — Ausgrenzung, kumulative Diskriminierung und ein weitverbreiteter Antiziganismus — nicht als Fluchtgründe an. Stattdessen wurde beschlossen, die wirtschaftliche Situation der Roma vor Ort verbessern zu helfen. Das ist nicht ganz abwegig: Obwohl viele in ihren Ländern geboren wurden und dort seit Jahrzehnten leben, gelingt es den Menschen nicht, ihre Identität nachzuweisen, ihre Geburt eintragen zu lassen oder eine förmliche Staatsangehörigkeit zu erlangen: Sie sind rechtlich unsichtbar. Änderungen, die einige Staaten in ihren jeweiligen Meldeämtern erlassen haben, bspw. wenn es darum geht, Ort und Tag der Geburt zu bestimmen, haben noch nicht zu spürbaren Verbesserungen geführt: Viele Roma müssen weiterhin in Camps außerhalb der Städte und am Rand der Gesellschaft leben. Initiativen fokussierten sich deswegen zuletzt darauf, die jeweiligen Zivilgesellschaften, und das heißt: die Roma-Organisationen, stärker einzubeziehen sowie eine intensivere Beteiligung der Gemeinden und Maßnahmen für einen besseren Übergang von der Schule zum Arbeitsmarkt, insbesondere durch die Einbeziehung in die qualifizierte Berufsausbildung, zu forcieren. Noch mit mäßigem Erfolg: 2017 waren in Bosnien und Herzegowina 86, Kosovo 78, Montenegro 82, Nord-Mazedonien 74 und Serbien 73 Prozent der jungen Roma (18-24) weder in Schul- oder Berufsausbildung noch in Arbeit. (Bei der Mehrheitsbevölkerung liegt die Rate in allen Westbalkanländern zwischen 33 und 59, in der EU durchschnittlich bei 14,3%.) Auch einen Abschluss der Pflichtschule können nur zwischen 31% (Montenegro) und 69% (Nord-Mazedonien) der 18- bis 21-jährigen Roma
vorweisen, gegenüber 93-96% der Mehrheitsbevölkerung in allen Ländern des Westbalkans.
Die Bildung zu verbessern, ist sicher ein ganz wichtiges und dauerhaftes Thema. Zur Integration auf dem Arbeitsmarkt braucht es einen längeren Atem. Aber vielleicht noch vordringlicher ist es, ein gesellschaftliches Narrativ zu entwickeln und zu propagieren, welches die Zigeuner als zugehörig zur Staatsnation, zur Gesellschaft und nicht als „Andere“ definiert. Dazu ist die Erklärung von Poznan, in der die Staats- und Regierungschefs der Westbalkanstaaten 2019 zusagten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um konkrete Verbesserungen der Lebenssituation der Roma in den Bereichen Beschäftigung, Wohnungswesen, Bildung, Gesundheit, Personenstandsregister und Nichtdiskriminierung zu erzielen, hoffentlich ein erster Schritt.
Galerie KulTourDiele, Rudolstadt
Marktstrasse 57
07407 Rudolstadt
Link: Rudolstadt Festival 30.
7. – 16. Juli 2022
Ausstellungseröffnung: Do, 7. Juli, 18 Uhr
Lesung des Roma-Schriftstellers Jovan Nikolić, der
in Čačak, Zentralserbien, geboren wurde und heute
in Köln lebt; sein Liedtext Bubamara wurde in der Filmkomödie Schwarze Katze, weißer Kater thematisiert.
Mit Musik von Rudi Rumstajn.
Zum Festival geöffnet:
Do 9-20 · Fr+Sa 9-22 · So 10-19 Uhr
ab Montag 11.7.bis 16.7. 9-18 Uhr
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